Impressionen

Gegen das Vergessen: Erschütternde Schicksale lassen den Atem stocken

VG Aar-Einrich, 27. Oktober 2020.

15 Stolpersteine in der Verbandsgemeinde Aar-Einrich verlegt

Beklemmend und berührend war diese Aktion: 15 Stolpersteine wurden zur Erinnerung an NS-Opfer aus der Region der Verbandsgemeinde Aar-Einrich verlegt – das hieß für den Künstler Gunter Demnig, 15-mal ein passendes Loch zu graben, 15-mal einen goldglänzenden Stolperstein zum Gedenken an ein besonderes, erschütterndes Schicksal eines Menschen in der Hand zu halten, letzte Kanten abzuschleifen, um den Stolperstein passend zu machen und dann im Boden zu verankern. Das alles verrichtete Demnig immer wieder routiniert, ruhig, in sich versunken, während im Halbkreis Frauen und Männer um ihn standen, die an den Menschen erinnerten, dessen Name in den Stein graviert ist. Samt Geburtsdatum und dem Datum seines gewaltsamen Todes.

Die Stolpersteine sind dabei kein wörtliches Hindernis beim Gehen, niemand wird körperlich über sie stolpern. Doch die kargen Daten, die die Steine enthalten, lassen den Atem stocken. Jeder Stein ist vor dem jeweils letzten frei gewählten Wohnort dieser 15 Menschen platziert, die in der Region der heutigen Verbandsgemeinde Aar-Einrich gelebt haben – in den Ortsgemeinden Kördorf, Herold, Katzenelnbogen, Allendorf und Flacht. Jeder Stein steht für  einen Menschen, der vom NS-Regime verfolgt, gequält und ermordet wurde.

Die Stolpersteine erinnern dabei an die Schicksale von jüdischen Bürgern und die Ermordung von Menschen mit körperlichen und seelischen Behinderungen während der NS-Diktatur. Um diese Menschen noch einmal möglichst lebendig ins Gedächtnis zu rufen, lasen Mitglieder des Arbeitskreises Stolpersteine der VG Aar-Einrich Erinnerungen an die Vita der ermordeten Menschen vor.

So wie die von Frieda Weber, einem fröhlichen Kind, das 1914 auf die Welt kam, mit seinen Eltern in Herold auf dem Bauernhof aufwuchs. Ein Mädchen, das nach dem Tod der Mutter 1929 in die damalige Heilanstalt Scheuern kam, zunächst wenig Kontakt fand und so gern mit ihrem Teddy spielte. Ein Mädchen, bei dem „mongoloide Idiotie“ festgestellt wurde, bei dem aus Sicht der Ärzte „keine Aussicht auf Besserung oder Heilung“ stand. Aus dem  Mädchen wurde eine junge Frau wurde, die sich freute, wenn sie ihre Jacke anziehen durfte, weil sie wusste, dass dann der ebenfalls erkrankte Vater zu Besuch kam, der ihr heimlich ein wenig Essen zusteckte. Über diese junge Frau, die nicht gefördert wurde, gab es über die Jahre in den Unterlagen der Anstalt immer weniger Einträge. Frieda Weber wurde schließlich als „unwertes Leben“ und „unnützer Esser“ eingestuft und am 21. April 1941 abgeholt. Sie wurde nach Hadamar transportiert und kam dort noch am selben Tag in die Gaskammer, wo sie ermordet wurde.

Die Besucher der Stolpersteinverlegungen waren bei jeder dieser Erinnerungen erschüttert – erst recht, wenn dann noch ein Bild gezeigt wurde, das, wie bei Frieda Weber das fröhliche Gesicht eines glücklichen Mädchens zeigte.

„Es ist so wichtig, dass wir diese Schicksale und diese Verbrechen niemals vergessen“, so die einhellige Meinung der Teilnehmer, zu denen natürlich in jedem Ort Bürgermeister, Vertreter der Verbandsgemeinde und des Arbeitskreises Stolpersteine der VG Aar-Einrich sowie zahlreiche Bürger gehörten, die den ermordeten ehemaligen Mitbürgern mit Blumen auf dem Stolperstein die letzte Ehre erwiesen.

Die Verlegung eines Stolpersteins kostet 120 Euro für Vorbereitung, Material, Fertigung und Versand. Die Steine werden vom Berliner Bildhauer Michael Friedrichs-Friedlaender (Berlin) in Handarbeit angefertigt. Der Arbeitskreis Stolpersteine der Verbandsgemeinde Aar-Einrich finanziert die Stolpersteine und ihre Verlegung durch Spenden.  Privatpersonen, Institutionen, Firmen, Vereine oder Parteien können Patenschaften übernehmen. Spenden sind möglich auf eines der Konten der VG Aar-Einrich unter dem Stichwort „STOLPERSTEINE“:

Nassauische Sparkasse IBAN: DE76 5105 0015 0604 0147 00,
Volksbank Rhein-Lahn-Limburg eG, IBAN: DE07 5709 2800 0206 8997 00,
Postbank Frankfurt, IBAN: DE03 5001 0060 0337 2506 00.